Beschluss: Das Gremium beschließt ungeändert.

Der Landkreis Nienburg/Weser beschließt, vorbehaltlich der juristischen Prüfung, die beigefügte „Richtlinie zur Vergabe von Stipendien für Studierende der Humanmedizin“.

Danach kann den Studierenden ein Stipendium in Form einer Grundförderung von 300 € sowie ggf. eines Zuschusses zu den Studiengebühren gewährt werden.

Die Verwaltung wird beauftragt, die erforderlichen Schritte zur Umsetzung einzuleiten, damit zum Wintersemester 2015/16 die ersten Stipendien für Medizinstudenten vergeben werden können.

Gegebenenfalls erforderlich werdende redaktionelle Änderungen an der Richtlinie kann die Verwaltung vornehmen.


Beratungsgang:

 

Landrat Kohlmeier führt aus, die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung stelle eine große Herausforderung für alle dar, die in diesem Bereich Verantwortung tragen würden.

 

In vielen Landstrichen der Republik sei mehr als die Hälfte der Ärzte älter als 60 Jahre. Gleichzeitig sehe die Lebensplanung der nachrückenden Generationen der Mediziner anders aus als die ihrer Vorgänger. Beruf mit Familie und Freizeit unter ein Dach zu bekommen, werde auch von Ärzten angestrebt. Ein Angestelltenverhältnis sei daher für Ärzte durchaus attraktiv. Die kassenärztliche Vereinigung habe vor diesem Hintergrund ermittelt, dass für jeden ausscheidenden Arzt im Schnitt 1,5 Ärzte neu kommen müssen, um diesen Wünschen gerecht zu werden und gleichzeitig die Versorgung sicher zu stellen.

 

Landkreise, Städte und Gemeinden fühlten sich gleichermaßen in der Pflicht, diese Entwicklung aktiv und zum Wohle der Region zu gestalten.

 

Im Regionalmanagement Mitte Niedersachsen sei die Einführung einer Marketing-Kampagne, um ärztlichen Nachwuchs zu gewinnen, aktuell wesentlicher Bestandteil dieser Bemühungen. Die Landkreise Diepholz und Nienburg hätten in diesem Zusammenhang in Aussicht gestellt, sich mit einem Stipendien-Angebot für ärztlichen Nachwuchs zu beteiligen und damit inhaltlich wesentlicher Teil dieser Kampagne zu sein.

 

Das Versorgungsstärkungsgesetz des Bundes leiste sicherlich einen Beitrag, um auf die Entwicklung im Bereich der ärztlichen Versorgung zu reagieren. Man werde die Versorgung in ländlichen Regionen jedoch nicht statistisch erzwingen können. So ließe sich kein Arzt vorschreiben, wo er arbeiten solle. Vielmehr müsse die Politik für die Attraktivität der Region sorgen.

 

Ein erster Schritt, um in diese Richtung erfolgreich zu wirken, könne es sein, junge Menschen an Region zu binden. Ein mögliches Instrumentarium sei damit das Stipendienprogramm, das zur Beschlussfassung vorliege.

 

In der Sitzung des Ausschusses für Regionalentwicklung am 15. Juni sei deutlich geworden, dass die Regionen auch vor dem Hintergrund der Bemühungen des Gesetzgebers selbst tätig werden müssten. Von der gesetzlichen Regelung allein komme kein Arzt in den Landkreis Nienburg.

 

KTA Warnecke betont, im Landkreis drohe auf lange Sicht ein problematischer Ärztemangel. Nur wenige Ärzte würde es auf das Land ziehen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf werde immer stärker gefordert. Zwei Drittel derjenigen, die Medizinerin oder Mediziner werden wollen, seien Frauen. Diese würden klare Regelungen und Arbeitsbedingungen im Interesse ihrer Familie einfordern.

 

Angestelltenverhältnisse und Teilzeitbeschäftigungen spielten eine immer größere Rolle. Diese Veränderungen im Denken und Handeln müsste Rechnung getragen werden.

Die medizinische Versorgung sei ein wichtiger Standortfaktor, an dem sich junge Familien, Fachkräfte und Unternehmen orientieren würden. Es reiche nicht aus, auf Bundesregelungen, Landesprogramme oder Programme der kassenärztlichen Vereinigungen zu warten oder sie ausschließlich anzuwenden. Es müssten eigene, maßgeschneiderte Lösungen und Akzente her.

 

Das Stipendienprogramm eröffne neue Wege und Chancen und sei wichtig für den Landkreis Nienburg.

 

KTA Kaltofen erläutert, seine Fraktion hätte von Anfang an die zeitnahe Umsetzung der Richtlinie befürwortet.

 

Die Fachvorträge im Ausschuss für Regionalentwicklung hätten noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig diese Richtlinie sei. So seien beispielsweise im Südkreis 45 % der dort ansässigen Ärzte 60 Jahre und älter.

 

Die Fachleute hätten im Ausschuss übereinstimmend dafür plädiert, interkommunal d.h. auf Kreisebene zu agieren, um einen Wettstreit der Kommunen um die Gunst der Ärzte zu vermeiden. Gleichzeitig hätten sie klar gemacht, dass die Maßnahmen jetzt starten müssten, um den zeitlichen Vorteil des Alleinstellungsmerkmals nutzen zu können.

 

Der Landkreis müsse den Zug nun erst einmal auf das Gleis stellen, um den Bahnhof verlassen, so wie es der Landkreis Diepholz schon getan habe. Die Richtlinie bei Bedarf nachzubessern sei unproblematisch.

 

Stellv. Landrat Bomhoff macht deutlich, dass sich in der Analyse der Situation alle einig seien. Das Problem des Ärztemangels gebe es aber nicht nur im Landkreis Nienburg, sondern bundesweit und in unterschiedlich starker Ausprägung.

 

Genau aus diesem Grunde habe der Deutsche Bundestag am 11. Juni das Versorgungsverstärkungsgesetz verabschiedet, das die Präsenz von Fach- und Hausärzten in unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Regionen verbessern solle.

 

So würden die Möglichkeiten, Niederlassungen zu fördern oder medizinische Versorgungszentren zu gründen, erweitert.

 

Außerdem solle künftig eine Praxis in einem überversorgten Gebiet nur dann nachbesetzt werden, wenn dies für die Versorgung der Patienten auch sinnvoll sei.

Das Gesetz zeige verschiedene Möglichkeiten auf, die Ärzteversorgung zu verbessern und eröffne Handlungsmöglichkeiten für die kommunale Ebene und damit für den Landkreis. So könne dieser z. B. ein medizinisches Versorgungszentrum gründen und dort Ärzte anstellen.

Weiter könnten nun Strukturfonds eingerichtet werden, die es ermöglichten Stipendien zu vergeben, Weiterbildungen von Ärzten finanziell zu unterstützen, Beihilfen zur Niederlassungsgründung zu gewähren oder Ärzten Zuschläge für bestimmte Leistungen zu zahlen.

 

Die vom Bundesgesetzgeber mit dem neu verabschiedeten Gesetz geschaffenen Möglichkeiten seien leider nicht in die Beratungen über den anstehenden Beschluss eingeflossen.

 

Die vorgesehenen Stipendien aus Mitteln des Landkreises seien im Augenblick nicht nur unnötig, sondern könnten auch kontraproduktiv sein, weil sie die Kassenärztliche Vereinigung davon abhalten könnten, die nach dem Versorgungsverstärkungsgesetz vorgesehenen Möglichkeiten zu nutzen. So sei z. B. die Einrichtung der genannten Strukturfonds nicht verbindlich.

 

Notwendig sei, dass sich der Landkreis mit Blick auf die nun eröffneten Möglichkeiten entsprechend engagiere. Das betreffe nicht nur die Strukturfonds, sondern auch die Prüfung und ggf. die Errichtung von medizinischen Versorgungszentren.

 

Die vorgesehene Vergabe von Stipendien an Studierende weise hingegen erhebliche Schwächen auf. So würden andere erheblich höhere Stipendien bezahlen oder Praxisgründungszuschüsse gewähren, mit denen ein Arzt seine Verpflichtungen aus dem Stipendienprogramm problemlos ablösen könnte.

 

Außerdem müsse man sich darüber im Klaren sein, dass der Erfolg der Stipendienvergabe nicht die Auszahlung der Stipendien sondern die Niederlassung einer Ärztin oder eines Arztes im Landkreis Nienburg sei. Dies werde frühestens nach 10 Jahren der Fall sein.

 

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werde die Richtlinie daher ablehnen.

 

KTA Kretschmer äußert, dass Stipendium werde für sich allein keinen Anreiz für junge Ärztinnen schaffen, sich im Landkreis Nienburg niederzulassen. Vielmehr müssten auch weitere Rahmenbedingungen, wie geeignete Formen der Kinderbetreuung oder vergünstigte Kredite für die Einrichtung einer Praxis, geschaffen werden.

 

Außerdem sei zu bedenken, dass sich viele junge Leute im Laufe ihres Studiums auch noch anders orientieren würden.

 

Insgesamt klinge die Richtlinie nicht Erfolg versprechend. Sie werde ihr dennoch zustimmen.

 

KTA Waschke stellt fest, dass der Landkreis an dem Bevölkerungsrückgang wenig ausrichten könne, beim Ärztemangel hingegen schon. Laut Aussagen von Experten werde es in den nächsten Jahren im Landkreis immer weniger Allgemeinmediziner geben. Im Nordkreis betrage der Versorgungsgrad bei Hausärzten aktuell 86 %, im Südkreis 106 %. Immer weniger Ärzte seien bereit, in ländlichen Regionen eine eigene Praxis zu führen oder eine zu übernehmen.

 

Wenn dies so weitergehe, werde es in der Zukunft im Landkreis keine flächendeckende ärztliche Versorgung mehr geben. Der Landkreis müsse daher angehende Ärztinnen und  Ärzte ansprechen und gemeinsam mit Unternehmen die Werbetrommel rühren.

 

Die SPD werde der Vergabe von Stipendien für Studierende der Humanmedizin zustimmen.

 

Stellv. LR Jürgen Leseberg bekräftigt, die Wählergemeinschaft werde der Beschlussvorlage uneingeschränkt zustimmen.

 

Die Stipendien seien eine Investition in die Zukunft, die dringend erforderlich sei. Die Mittel seien nicht verschenkt, sondern würden dazu führen, dass der Landkreis am Ende besser aufgestellt sei.

 

Wenn argumentiert werde, es sollten Versorgungszentren gebaut werden, sei hierzu festzustellen, dass deswegen noch kein Arzt in die Region komme.

 

Das Bundesgesetz wirke für alle gleich. Wer sich abheben wolle, müsse eine individuelle Lösung suchen.

 

KTA Werner hebt hervor, dass sich der Ärztemangel auch bei den Fachärzten niederschlagen werde.

 

Das Stipendium umzusetzen dürfe jedoch nicht bedeuten, andere Ansätze nicht auch zu verfolgen.

 

Insgesamt müsste sehr vielfältig darüber nachgedacht werden, wie die ärztliche Versorgung und der Zugang zu ihr sichergestellt werden könne.

 

So sei ein medizinisches Versorgungszentrum ggf. eine Alternative. In anderen Bundesländern würde dieses eng in den ÖPNV eingebunden.

 

Wichtig sei zunächst das Zeichen, sich als freiwillige Aufgabe für die ärztliche Versorgung der Bevölkerung einzusetzen, dass der Kreistag mit diesem Beschluss setze.

 

Unabhängig davon sollte das Stipendienprogramm jedoch dauerhaft politisch begleitet und seine Wirksamkeit evaluiert werden.

 


Beratungsergebnis:

 

Mit Stimmenmehrheit:    40 Ja-Stimmen     4 Nein-Stimmen       -- Enthaltungen