Betreff
1. Änderung des Regionalen Raumordnungsprogramms 2003 - Teiländerung Windenergie
Vorlage
2011/AfR/003
Aktenzeichen
62.13.39
Art
Ausschuss für Regionalentwicklung

Im Rahmen der Abwägung soll geprüft werden, ob die empfohlenen Vorsorgeabstände zur Wohnbebauung von 450 m zu Einzelbebauung im Außenbereich und 700 m zu geschlossenen Siedlungen bei der Darstellung der Vorranggebiete Windenergienutzung zugrunde gelegt werden können.


Auf der Sitzung des Ausschusses für Regionalentwicklung am 11.11.2010 ist beschlossen worden, dass als textliche Festsetzung – vorbehaltlich der Prüfung der Kreisverwaltung – in die RROP - Änderung aufgenommen werden soll, dass der Abstand zur Wohnbebauung mindestens das Vierfache der Kipphöhe einer Windenergieanlagen (WEA) betragen soll.

 

Die juristische Prüfung durch die Kreisverwaltung hat ergeben, dass eine derartige textliche Festsetzung rechtlich nicht zulässig ist, und zwar aus folgenden Gründen:

 

Zunächst entstammt die Begrifflichkeit „textliche Festsetzung“ § 9 Baugesetzbuch und bezieht sich auf das Bauplanungsrecht. Auf jeden Fall gilt für textliche Festsetzungen, dass diese aus sich heraus bestimmt, eindeutig und verständlich sein müssen. Die betreffende Ausweisung ist ansonsten nichtig. Eine Festsetzung muss so bestimmt sein, dass der Betroffene den Regelungsgehalt zweifelsfrei erkennen kann. Auf Ebene des RROP können Ziele der Raumordnung als textlich verbindliche Vorgaben festgelegt werden.
Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG sind Ziele der Raumordnung verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums.

 

Diesen Anforderungen an die Bestimmtheit einer textlichen Festlegung als Ziel der Raumordnung wird der o. g. Antrag, den Abstand von WEA zu Wohnbebauung aus dem Vierfachen der Kipphöhe einer WEA herzuleiten, nicht gerecht, da die Regelung nicht konkret ist. Der Begriff „Kipphöhe“ ist keine eindeutig definierte Höhe, sondern abhängig von der jeweils geplanten WEA und damit variabel. Des Weiteren würde sie nicht im Einklang mit der räumlichen Gebietsfestlegung stehen. Eine derartige Regelung würde eine Widersprüchlichkeit zu Satz 1 des Beschlussvorschlags vom 11.11.2010 darstellen, demnach im Rahmen der Abwägung geprüft werden soll, ob die Vorsorgeabstände zur Wohnbebauung mit 450 m (Einzelwohnbebauung im Außenbereich) und 700 m (Gebiete mit Wohnbebauung) festgelegt werden könnten.

 

Zudem würde durch eine derartige Regelung im RROP ein neues Ausschlusskriterium geschaffen werden, das im Widerspruch zur planerischen Methodik stehen würde, Tabuzonen mit Ausschlusswirkung für WEA anzuwenden. Durch die Unbestimmtheit des Begriffs „Vierfache Kipphöhe“ würde keine feststehende Tabuzone anhand gestaffelter Vorsorgeabstände zur Wohnbebauung geschaffen werden, sondern eine variable Zone. Planerisch könnte dies nicht begründet werden, da Fragen des erforderlichen Abstands dem Genehmigungsverfahren vorbehalten sind. Bei einer 200 m hohen WEA würde der Vorsorgeabstand z. B. 800 m betragen, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Einzelwohnbebauung im Außenbereich oder um geschlossene Siedlungen mit Wohnbebauung handelt. Bei der Betrachtung und Festlegung der Vorsorgeabstände zu den unterschiedlichen Siedlungsbereichen muss jedoch eine Differenzierung erfolgen (s. u. „OVG Sachsen“).

 

Im RROP - Entwurf wird als Ziel der Raumordnung gemäß LROP 2008 vorgeschlagen, in der Zeichnerischen Darstellung Vorranggebiete Windenergienutzung festzulegen, auf die raumbedeutsame WEA und –parks zu konzentrieren sind. Diese Festlegung soll mit dem Ausschluss von WEA an anderer Stelle im Landkreis Nienburg/Weser verbunden werden. Daher kann der „Abstand der Vierfachen Kipphöhe“ keine Zielqualität haben und ist nicht mehr an der gestaffelten (Außenbereich/Innenbereich) Gebietsabgrenzung orientiert. Sie ist abhängig von einer unbekannten Rechengröße. Damit ist diese Formulierung aus juristischer Sicht der Kreisverwaltung nicht geeignet, Grundlage für eine abschließende Entscheidung im RROP zu sein. Das Vorliegen einer Zielqualität setzt zwingend voraus, dass die Regionalplanung eine Entscheidung mit sog. Letztentscheidungscharakter trifft.

 

Die Einführung einer Staffelung der Abstände, abgeleitet von der Höhe einer WEA ist vergleichbar mit einer Höhenbegrenzung. Insgesamt hat sich bei der Aufstellung von RROP durchgesetzt, dass keine Höhenbegrenzungen festgelegt werden, da diese pauschal nicht stichhaltig zu begründen sind. Höhenbegrenzungen sind grundsätzlich denkbar, wenn im konkreten Einzelfall nachgewiesen wird, dass diese erforderlich sind, z. B. aus Gründen der Flugsicherung oder besonderen Anforderungen zum Schutz des Landschaftsbildes. Dies setzt jedoch eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Einzelfall voraus, die das RROP nicht leisten kann und soll. Diese Auseinandersetzung und daraus resultierende, stichhaltig begründete Darstellungen und Festsetzungen sollten in den Bauleitplänen der Gemeinden erfolgen.

 

Die Kreisverwaltung hat im Zuge des Planungsprozesses die Festlegung der Abstände der potenziellen Vorranggebiete Windenergienutzung zur Wohnbebauung juristisch prüfen lassen. Im Ergebnis ist festzustellen, dass die sich die Anwendung gestaffelter Vorsorgeabstände zur Wohnbebauung (450 m / 700 m) an planerischen Grundsätzen orientiert. Zugrunde gelegt wird zum einen die TA Lärm, die nach Gebietsarten differenziert. Die einzuhaltenden Lärmwerte richten sich danach, um welches Gebiet es sich handelt. Jemand, der im Außenbereich wohnt, hat nicht den gleichen Schutzanspruch nach den Vorschriften der TA Lärm wie jemand, der in einem allgemeinen Wohngebiet wohnt. Zum anderen sind die Empfehlungen des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamts Hannover vom 29.08.2007 herangezogen worden, wie in der Beschlussvorlage für die Sitzung des Ausschusses für Regionalentwicklung am 11.11.2010 erläutert. Ergänzend wird auf das Urteil des OVG Sachsen vom 07.04.2005, AZ 1 D 2/03 hingewiesen, dass in Bezug auf eine gestaffelte Anwendung von Vorsorgeabständen zu Siedlungsgebieten äußert: „…Die Bemessung der Abstände muss auf sachgerechten raumplanerischen Erwägungen beruhen und der ggf. unterschiedlichen Schutzbedürftigkeit der Gebiete Rechnung tragen. Dies ist hier mit der vorgenommenen Abstufung und der auf Einschätzung zur visuellen Wirkung von Windkraftanlagen und Prognoseberechnungen nach der TA Lärm beruhenden Berechnung der Abstandsflächen der Fall.“

 

Im Ergebnis wird seitens der Kreisverwaltung empfohlen, im RROP - Entwurf auf eine Festlegung, dass WEA das Vierfache der Kipphöhe zu Wohnbebauung einzuhalten haben, zu verzichten. In Hinblick auf eine, laut Gesetz notwendige, Ergebnis offene Abwägung sollte in der neuen Beschlussfassung klargestellt werden, dass eine Änderung der dem RROP - Entwurf zugrunde liegenden Ausschluss- und Abwägungskriterien erst auf Grundlage der erfolgten Abwägung erfolgen soll.

 


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Anlagen: